Star-Coach Dave Marsh: “Schwimmer müssen Alleskönner sein“
David Marsh zählt zu den geachtetsten und erfolgreichsten Schwimmtrainern weltweit. Der US-Amerikaner trainierte rund 50 Olympiateilnehmer aus 19 Nationen und steht als Headcoach des „Team Elite“ am Beckenrand. Hier ziehen unter anderem die deutschen Nationalschwimmer Marius Kusch und Jacob Heidtmann ihre Trainingsbahnen. Bei den Olympischen Spielen zählte Marsh viermal zum Trainerstab des Team USA, in Rio hatte er sogar die Rolle als Headcoach der Damenmannschaft. Im vom swimsportMagazine zur Verfügung gestellten Interview spricht der Spitzencoach darüber, wie es die US-Schwimmer immer wieder schaffen, bei Olympia am Ende ganz vorn zu sein und was es heutzutage bedeutet, Trainer im Schwimmleistungssport zu sein.
Die US-Athleten dominieren seit Jahren den Schwimmsport. Bei den Olympischen Spielen in Rio gab es 33 Medaillen, acht davon kamen von Ihren Schwimmern. Sie selbst waren zudem verantwortlicher Nationaltrainer für die US-Damen. Was macht das „Team USA“ besser als andere Nationen?
Da gibt es sicher mehrere Faktoren. Die Atmosphäre im Team ist immer außergewöhnlich. Außerdem glaube ich, dass unser Olympia-Qualifikationswettkampf, die Trials, dermaßen intensiv ist und es so schwer ist, sich hier zu qualifizieren, dass die Sportler dann bei den Olympischen Spielen selbst fast schon erleichtert sind, weil der Druck hier nicht mehr so groß ist. Wenn man Sportwissenschaftler fragt, macht es eigentlich keinen Sinn, so wenige Wochen vor dem Saisonhöhepunkt die Qualifikation zu haben. (Trials sind meist 4 bis 5 Wochen vor Olympia) Die würden sagen, das ist verrückt. Das ist ein schrecklicher Rahmen für einen Trainingszyklus. Aber es scheint für das Team USA zu funktionieren. Viele Sportler sind das auch durch das Collegesystem bereits gewohnt. Da sind zunächst die Regionalmeisterschaften und wenige Wochen später die landesweiten US-Meisterschaften. Die meisten bereiten sich auf beide voll vor.
Sie haben auch die Team-Atmosphäre erwähnt. Was macht diese so besonders?
Es besteht kein Zweifel daran, dass diese besondere Chemie, die sich während der Vorbereitungsphase im Team USA entwickelt, einen großen Teil zum Erfolg beiträgt. Die Mannschaft kommt zusammen und die Team-Kapitäne, die von den Athleten gewählt werden, haben auch einen wichtigen Anteil. Sie führen das Team mit einer Mischung aus Selbstbewusstsein und innerer Bescheidenheit, die sich auf die ganze Mannschaft überträgt.
So etwas kann man nicht trainieren. Trotzdem funktioniert es beim Team USA anscheinend immer besser, als bei anderen Mannschaften.
Ein wichtiger Punkt hierbei ist, dass sich das ganze Team auf den Job fokussiert, der vor ihm liegt. Da gibt es keine Ablenkungen. Bestimmte Sachen dienen der Auflockerung der Stimmung, aber das kommt immer aus dem Team selbst heraus und nicht von außen. Bei anderen Nationalmannschaften merkt man, dass da oft äußere Einflüsse eine Rolle spielen. Da mischen sich die Verbandsfunktionäre und Sponsoren ein und negative Schlagzeilen der Medien setzen sich in den Sportlerköpfen fest.
Und das lenkt dann die Schwimmer vom Schwimmen ab.
Die Atmosphäre rund um einen Athleten, der sich auf seinen Einsatz bei Olympischen Spielen vorbereitet, ist sehr empfindlich. Das ist anders, als wenn man bei nationalen Meisterschaften oder auch bei Weltmeisterschaften ist. Auf Olympia hat man vier Jahre lang hingearbeitet. Für uns Amerikaner ist Olympia um Welten wichtiger, als irgendein anderes Event, auch als eine Weltmeisterschaft. Deswegen halten wir die Schwimmer fokussiert und erlauben nur wenige Einflüsse von außen.
Sie gelten nicht gerade als Fan vom monotonen Kacheln zählen sondern bevorzugen kurze, intensive Trainingssets. Warum ist das so?
Das ist eben mein persönlicher Trainingsstil, aber nicht jeder Coach trainiert so. Und das ist auch OK. Es muss verschiedene Ansätze geben. Ich persönlich konnte einfach auf diesem Weg mit meinen Athleten die besten Resultate erzielen. Außerdem mag ich es, das Training abwechslungsreich und interessant zu gestalten. Vor einiger Zeit bekamen wir zum Beispiel ein paar neue Schwimmer aus Japan ins Team, unter anderem den Olympia- und WM-Medaillengewinner Ryosuke Irie. Ich hab sofort gefragt, welche Übungen sie so im Training gemacht haben. Einiges klang cool und wurde dann direkt bei uns ins Training mit eingebaut.
Im Schwimmen hat sich über die Zeit hinweg doch einiges entwickelt. In den 70ern und 80ern fing man mit dem Höhentraining an. Seit den 90ern kam immer stärker das Gewichtstraining hinzu. Ich glaube, die Zukunft liegt aber vor allem darin, dass man ganzheitliche Lösungen für das Training findet. Es geht nicht mehr darum, an einer Stelle besondere Stärken aufzuweisen, sondern darum, keine Schwächen zu haben. Schwimmen beinhaltet Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit. Wir haben einen wunderschönen Sport, für den man ein Alleskönner sein muss. Und das muss sich im Training wiederspiegeln.
Sie sprechen das aus jahrzehntelanger Erfahrung. Was ist aus ihrer Sicht die wichtigste Rolle eines Trainers im Leistungssport?
Da gibt es zwei Punkte. Zum einen muss der Coach herausfinden, was für den einzelnen Athleten die jeweils beste Technik ist, um das Maximale aus seinen natürlichen Gegebenheiten wie Hebeln und Körpergröße herauszuholen. Ein tolles Beispiel ist Marco Koch. Er ist für mich der ideale Brustschwimmer. So muss Brustschwimmen wie aus dem Lehrbuch aussehen. Aber das geht nicht von heute auf morgen und passt auch nicht zu jedem Sportlertypen. Die andere Sache ist, dass man als Coach wissen muss, auf welchen Trainingsstil die einzelnen Athleten ansprechen. Den einen braucht man nur anleiten und fördern. Den anderen muss man etwas härter anpacken und immer wieder aus seiner Komfortzone holen. Ein guter Coach trainiert unterschiedliche Schwimmer auf unterschiedlichen Wegen. Und das gilt eigentlich auf jedem Level.
Hinweis: Dieses Interview erschien in angewandelter Form erstmals in der Frühjahresausgabe 2017 des swimsportMagazine. Alle bisherigen Ausgaben der Zeitschrift für den Schwimmsport sind unter www.swimsportmagazine.de erhältlich.